Neulich stand ich in meiner Küche – zwischen Tellern und Töpfen nach dem Abendessen – und sah plötzlich: ein Regenbogen. Halb verwaschen vom Wind, halb leuchtend vom Gegenlicht. Ich musste lächeln. Und dachte: Dieser Sommer ist eigentlich eine ganz gute Schule für Resilienz.
Regen, Sonne, Wind – im Halbstundentakt. Der August macht, was er will. Wie ein kleines Wetterkind mit wechselnder Laune.
Muss man resilient sein, um diesen Sommer zu ertragen? Vielleicht. Zumindest hilft emotionale Regulation – nicht gleich genervt zu sein, wenn der Regenschirm wieder umklappt. Gemeinsam ist es sowieso leichter zu ertragen. Ob ich verstehen muss, warum das Wetter so verrückt spielt – vielleicht nicht. Aber ich finde Lösungen, übe mich in Akzeptanz, lache über die Wetter-Apps und versuche es mit einem realistischen Optimismus, was die verbleibenden Sommerwochen betrifft.
Ein bisschen Spaß muss sein – aber kommen wir zur Sache.
Was ist eigentlich Resilienz?
Resilienz ist die Fähigkeit, mit Herausforderungen, Krisen und Stress so umzugehen, dass wir uns davon nicht dauerhaft aus der Bahn werfen lassen – und manchmal sogar gestärkt daraus hervorgehen.
Wichtig: Resilienz ist kein Persönlichkeitsmerkmal und auch kein festes „Talent“. Es ist ein Prozess, der sich im Laufe des Lebens entwickeln und stärken lässt.
Wie entwickelt sich Resilienz?
Bereits im frühen Leben werden die Grundsteine gelegt – durch Bindung, Co-Regulation und emotionale Sicherheit. Wenn ein Kind die Erfahrung macht: „Ich werde gesehen, gehalten, verstanden“, dann kann sich das Nervensystem regulieren. Daraus entsteht innere Sicherheit.
Diese Sicherheit bildet die Basis für späteres Durchhaltevermögen, für realistischen Optimismus, für soziale Stabilität – kurz: für Resilienz.
Aber auch wer das nicht in der Kindheit erlebt hat, kann Resilienz entwickeln. Das Gehirn bleibt lernfähig.
Epigenetik und Neuroplastizität
Die Epigenetik zeigt: Unsere Lebenserfahrungen beeinflussen, wie unsere Gene „gelesen“ werden. Stress, Trauma, aber auch Fürsorge, Verbundenheit oder Erfolge können epigenetisch Spuren hinterlassen.
Die gute Nachricht: Unsere Neuroplastizität – also die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern – bleibt ein Leben lang erhalten. Wir können lernen, uns anders zu verhalten, anders zu denken, anders zu fühlen. Und damit auch: Resilienter zu werden.
Neurobiologie der Resilienz: Was passiert im Kopf?
Resilienz zeigt sich besonders in drei zentralen Bereichen:
- Das Nervensystem: Ein gut reguliertes autonomes Nervensystem kann flexibel auf Stress reagieren – und danach wieder in die Ruhe zurückkehren. Stichwort: Vagale Flexibilität.
- Die HPA-Achse: Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse steuert unsere Stresshormone. Bei resilienten Menschen reagiert sie angemessen – aber fährt auch wieder runter.
- Gehirnstrukturen:
- Die Amygdala (Angstzentrum) bleibt ruhig.
- Der präfrontale Cortex (Entscheidungen, Impulskontrolle) übernimmt.
- Der Hippocampus (Gedächtnis) hilft, einzuordnen: Ist das hier wirklich gefährlich?
Neurotransmitter – die Chemie der Stärke
Resilienz wird auch auf chemischer Ebene unterstützt:
- Dopamin: motiviert und belohnt.
- Serotonin: stabilisiert Stimmung.
- Oxytocin: stärkt soziale Bindung und Vertrauen.
- Cortisol: wird bei Stress ausgeschüttet – darf aber nicht chronisch erhöht sein.
Schutzfaktoren der Resilienz
Laut Forschung (z. B. von Emmy Werner, Boris Cyrulnik oder Michael Ungar) stärken insbesondere diese Faktoren unsere Widerstandskraft:
- Emotionale Regulation
- Soziale Unterstützung
- Sinn und Kohärenzgefühl
- Selbstwirksamkeit und Problemlösefähigkeit
- Akzeptanz und Flexibilität
- Humor und positive Emotionen
- Realistischer Optimismus
Und wie zeigt sich das im Alltag?
Resilienz ist leise. Sie zeigt sich nicht im Durchhalten auf Biegen und Brechen. Sie zeigt sich darin, innezuhalten, nach Lösungen zu suchen, Gefühle zuzulassen, sich helfen zu lassen, neu zu beginnen, sich nicht zu verurteilen.
Vielleicht auch darin, den Regenschirm einfach mal stehen zu lassen – und den Regenbogen über Niendorf zu fotografieren.
Im dritten Teil dieser Serie geht es darum, wie sich Regulation und Resilienz unterscheiden – und warum sie sich so gut ergänzen.
Herzliche Grüße
aus Niendorf,
Marei