Regulation oder Resilienz? – Der Unterschied
Der letzte Abstieg nach einem langen Wandertag in den Alpen.
Meine Beine waren schwer, die Muskeln müde, mein Atem schneller als gewohnt – ich lebe schließlich in Hamburg, im Flachland.
Das Auf und Ab der Berge war eine echte Herausforderung für mich. Es war ein wunderschöner Tag, aber ich trug auch die Last einer anstrengenden Zeit mit mir herum. Viele Gedanken kreisten im Kopf, obwohl sie in diesem Moment eigentlich hätten ruhen können.
Die Alpen faszinieren mich, aber die hohen Gipfel sind mir fremd, geheimnisvoll. Ich kann Wind und Wellen lesen – ich bin ein Kind vom Meer – doch die stillen Riesen sprechen eine andere Sprache. Respekt und Ehrfurcht begleiteten jeden Schritt.
Wir machten Halt auf einer Bank. Die Sonne wärmte meine Haut, der Schweiß kühlte langsam ab.
Da kam er: ein Schmetterling. Er flatterte um mich herum und setzte sich sanft auf meine Hand. Ich entspannte mich und atmete ganz ruhig, um ihn nicht zu verscheuchen. Dieser kleine Moment brachte mich mit im Bruchteil einer Sekunde ins Hier und Jetzt. Alles andere trat zurück – nur Wärme, Licht, Atem und ein Hauch von Flügeln.
Genau hier liegt der Kern des Unterschieds zwischen Regulation und Resilienz:
- Regulation ist dieser Moment mit dem Schmetterling: Mein Nervensystem konnte sich nach Anstrengung und innerem Aufruhr wieder beruhigen. Der Wellengang wurde kleiner, das Wasser still.
- Resilienz ist der ganze Weg dorthin – die anstrengende Wanderung, das Durchhalten, das Akzeptieren der eigenen Grenzen, das Wachsen an der Herausforderung.
Die Schalen-Metapher: So hängen Regulation und Resilienz zusammen
Stell dir dein Nervensystem vor wie eine Schale voller Wasser.
- Die Schale steht für deine Resilienz – deine psychische Widerstandskraft. Ihre Größe ist nicht festgelegt: Sie kann kleiner sein, wenn du wenig resilienzfördernde Erfahrungen gemacht hast, oder größer, wenn du viele solcher Erfahrungen in deinem Leben sammeln konntest.
- Das Wasser in der Schale symbolisiert das, was gerade in deinem Nervensystem los ist – wir nennen es Aktivierungsenergie.
Darin gibt es zwei Ebenen:
- Das Grundwasser: tief und träge. Es symbolisiert gespeicherte, oft unbewusste Erfahrungen – besonders die, die nicht verarbeitet sind und im Hintergrund Anspannung erzeugen.
- Der Wellengang: kräuselnde Miniwellen bis zu mächtigen Tsunamis. Das ist sein aktueller Stress, Turbulenzen des Alltags, kleine und große Ärgernisse, akute Herausforderungen.
Regulation bedeutet, dass dein Körper und dein Nervensystem den hohen Wellengang wieder zu einer ruhigen See werden lassen kann.
Resilienz bestimmt, wie groß deine Schale derzeit ist – und damit, wie viel Wasser (Erfahrungen, Belastungen) du halten kannst, ohne dass es überschwappt.
Wenn die Schale überläuft
Ist die Schale klein und kommen zu unverarbeiteten Erlebnissen noch akute Belastungen hinzu, kann sie „überlaufen“ – wir geraten aus der Bahn.
Dann gibt es zwei Wege:
- Regulation: die Wellen kleiner werden lassen – durch Selbstregulation oder mit Unterstützung von außen.
- Resilienzaufbau: die Schale Schritt für Schritt vergrößern, sodass sie langfristig mehr fassen kann.
Regelmäßige, gelungene Regulationserfahrungen helfen, die Schale zu erweitern. So wächst auch deine Resilienz.
Embodiment – wenn der Körper miterzählt
Die gespeicherten Erfahrungen im Körper nennen wir Embodiment. Wenn unsere Schale eher klein ist und zu wenig Platz da ist um belastende Lebenserfahrungen zu halten, speichert der Körper sie vorübergehend ab, bis wir wieder die Kapazitäten und Ressourcen haben, um diese Erfahrungen zu verarbeiten. Das zeigt sich oft als Blockaden, chronische Schmerzen oder anderen Symtomen, die wir uns kaum erklären können.
Erfahrene Körpertherapeuten können darin lesen – sie sehen darin eine Form von potenzieller Energie. Wenn diese Energie wieder in Bewegung kommt, wird daraus kinetische Energie.
Dann geschieht Wandlung: Wir können nicht nur Herausforderungen meistern, sondern an ihnen wachsen.
Mein Fazit
Manchmal brauchen wir beides:
- Momente, die uns sofort wieder in die Mitte holen.
- Erfahrungen, die unsere Schale langsam wachsen lassen.
Und wie die Verwandlung der Raupe zum Schmetterling uns erinnert: Veränderung ist ein Prozess. Manchmal mühsam. Aber am Ende entstehen Flügel – auf unsere ganz eigene Weise.
