Weltfrauentag. Im Fokus: Frauen in der Medizin
Persönliche Erfahrungen von mir: Mutter, Tochter, Ärztin und Chiropraktikerin
Vor wenigen Tagen, am 8. März, war Internationaler Frauentag. Es erstaunt mich jedes Jahr, dass die bloße Existenz dieses Tages manche Gemüter sehr erregt. Den Eindruck bekomme ich zumindest, wenn mir die Tagespresse neben einer Liste der aktuellen Statistiken zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern mindestens ein kontroverses Interview einer öffentlichen Person vorlegt, in dem der Nutzen stark angezweifelt wird. Und auch in meinem persönlichen Umfeld, habe ich den Eindruck, gehen die Meinungen mitunter sehr auseinander. Brauchen wir noch einen Frauentag? Oder gar einen Frauenkampftag?
Eine Frau mit Vorbildfunktion
Haben Sie schon einmal den Namen Dorothea Erxleben gehört? Sie ist als „erste“ deutsche Ärztin in die Geschichte eingegangen und mit ihr verbindet mich neben dem Beruf die Herkunft aus dem schönen Städtchen Quedlinburg im Harzvorland. Ich muss noch sehr jung gewesen sein, als ich einen biografischen Roman geschenkt bekam. Schnell war ich gefesselt von ihrer Lebensgeschichte, angesiedelt im 18. Jahrhundert unter der Herrschaft Friedrichs des Großen. Dorothea hatte das Glück, einen aufgeschlossenen Vater zu haben, der – selbst Arzt – sie zu Hause unterrichtete und ihren Wissensdurst und Lerneifer unterstützte. Mir wurde beim Lesen sehr klar, dass dieser Umstand in jener Zeit nicht selbstverständlich war, dass überhaupt der Schulbesuch für Mädchen nicht üblich war. Was ich vielleicht vorher schon einmal gehört hatte – und dass es so etwas auch immer noch in der Welt gibt –, wurde das erste Mal für mich fühlbar und warf unglaublich viele weitreichende und aufwühlende Fragen auf. Heute möchte ich scherzhaft sagen, es war der Beginn meiner ersten existenziellen Krise: Wer bin ich und in welcher Welt lebe ich?
Zugleich bestärkte mich die Geschichte von Dorothea Erxleben darin, dass es sich lohnt, für seine Ziele und Gleichberechtigung zu kämpfen. Das minderte gewissermaßen die existenzielle Krise. Und kurioserweise beschleunigten Dorotheas Widersacher ihre Karriere. Der Geschichte nach assistierte Dorothea ihrem Vater in seiner Praxis und lernte so das Arzthandwerk unter seiner Anleitung. Nach seinem Tod behandelte sie weiterhin Patienten, wohlwissend, dass es ihr nicht erlaubt war, und erregte dadurch natürlich den Zorn der Quedlinburger Ärzteschaft. Um mich kurz zu fassen: Die Bestrebungen ihrer Gegner, ihr das Handwerk zu legen – und sich damit zahlende Kundschaft zu sichern – führten dazu, dass Friedrich der Große persönlich veranlasste, dass Dorothea an der Universität von Halle die ärztliche Prüfung ablegen durfte und musste, um weiter zu praktizieren.
Gerade als Frau wirft das Medizinstudium nicht nur medizinische Fragen auf
Wenn ich an den Beginn meines eigenen Medizinstudiums denke, erinnere ich besonders zwei Tatsachen im Zusammenhang mit Frauen, die mich bis heute beschäftigen: Die Quote unter den Studierenden der Medizin und die Quote unter den Studienprobanden in der Medizin.
Der Anteil junger Frauen unter den Studierenden hatte bereits die 50-Prozent-Marke überschritten und liegt heute noch viel höher. Viel wird über die Gründe diskutiert. Liegt es daran, dass es sich um einen Beruf mit starker sozialer Komponente handelt, der bei Frauen beliebter ist? Oder verdrängen Abiturientinnen ihre männlichen Altersgenossen schlicht mit besseren Noten, die immer noch Eintrittskarte zum Medizinstudium sind, und woran liegt das nun wieder? Was sagt das Ganze über die Erziehung unserer Kinder und unser Schulsystem aus?
Sicherlich wird niemand bestreiten, dass die Strukturen in unserem Gesundheitswesen immer noch männlich geprägt sind. Viele Kolleginnen, so mein persönlicher Eindruck, leiden unter den Hierarchien in den Kliniken und der schlechten Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Ich bin sehr gespannt auf die weitere Entwicklung und hoffe, dass sich Frauen über Berufsgrenzen innerhalb des Gesundheitswesens hinweg zusammenschließen, auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Geschlechtergerechtigkeit an beiden „Enden“
Ein anderes spannendes Thema in der Medizin ist, dass über Jahrzehnte überwiegend Männer als Studienprobanden dienten. Aus dem schlichten Grund heraus, dass der Körper von Frauen als zu komplex und veränderlich empfunden wurde, um zuverlässige, wiederholbare Ergebnisse, zum Beispiel bei Medikamentenstudien, zu bekommen. Ich weiß noch, dass es mir die Sprache verschlug, als der Anatomieprofessor zu meinem Kommilitonen so oder ähnlich sagte: „Sie sind der typische Studienproband: Mitte zwanzig, männlich und 80 kg schwer.“ Und zu den Frauen gewandt: „Würden Sie eine Arznei, die nicht an Frauen getestet wurde und nicht an Ihr Gewicht angepasst ist, einfach so einnehmen?“ Wir grübelten schwer.
Zum Glück ändert sich auf diesem Gebiet langsam etwas und viele fleißige Forscher widmen sich den Unterschieden zwischen Männern und Frauen, um Therapien und Arzneien geschlechterspezifisch zu optimieren.
Mein Fazit zum Weltfrauentag
Ehrlich gesagt finde ich es gut, dass am Frauentag über den Frauentag gestritten wird. Allein das sagt mir, dass er weiterhin notwendig ist. Es ist viel zu tun. Ich bin stolz und dankbar über das Erreichte und, ja, kämpferisch für die Zukunft meiner Tochter.
Deswegen möchte ich mich heute dem Zitat von Kamala Harris, der ersten amerikanischen Vize-Präsidentin, anschließen: „Ich möchte, dass junge Mädchen und Frauen wissen: Ihr seid stark und eure Stimme zählt.“
An dieser Stelle stelle ich ja üblicherweise meine tik-hacks zum Thema des Beitrags vor. Heute möchte Ihnen stattdessen ein Ritual ans Herz legen:
Schreiben Sie einen Brief an Ihre Mutter, Großmutter oder sogar Urgroßmutter. Tauschen Sie sich gedanklich aus, berichten Sie über die Fortschritte in der Gleichberechtigung, stellen Sie ihr Fragen zu ihrer Geschichte. Mir hat dieses Ritual sehr viel Freude bereitet. Danach können Sie einen zweiten Brief schreiben, an eine junge Frau in der Zukunft. Was wünschen Sie ihr? Malen Sie zum Beispiel eine Vision einer Welt, in der Frieden und Gleichberechtigung herrschen. Teilen Sie Ihre Erfahrungen.
Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, nimmt vielleicht an #messagetomysister teil. Ich jedenfalls habe Lust, nächstes Jahr ein kleines Kunstprojekt zu diesem Thema zu starten. Vielleicht haben Sie ja Lust, mitzumachen.
Herzlich,
Ihre Marei Schachschneider