Faszientraining aus chiropraktischer Sicht
Was Faszien lieben …
Oft werde ich in meiner Praxis gefragt, ob ich Faszientraining empfehle. Darauf folgt zumeist gleich die nächste Frage – gepaart mit einem sorgenvollen Blick: „Muss Faszientraining denn weh tun?“
Mein erster Gedanke hierzu ist, dass es in unserer Kultur immer noch sehr verbreitet ist zu glauben, was hilft, muss auch weh tun. Oder anders: Wenn es nicht weh tut, hilft es nicht. Dieser Glaubenssatz taugt tatsächlich für einen eigenen Blog-Beitrag und ich lasse ihn heute einmal so stehen.
Mein zweiter Gedanke zu Faszientraining und die Antwort auf die erste Frage, die ich meinen Patienten gebe, ist: „Eine Justierung ist aus meiner Sicht das beste Faszientraining, das es gibt!“
Aber einen Schritt zurück. Was sind Faszien überhaupt?
Bestimmt hat jeder Faszien schon beim Zubereiten einer Fleischmahlzeit gesehen: Als Sehnen, die Knochen und Fleisch verbinden, oder faserige Platten oder zarte Häute, die das Fleisch durchziehen. Und daran sieht man schon eine ihrer Aufgaben: Gewebe umhüllen, voneinander trennen und miteinander verbinden.
Ich habe Faszien im Anatomieunterricht näher kennengelernt – und bedauerlicherweise eher als etwas, was stört. In einer Art sportlichem Wettbewerb konkurrierten wir Studenten darum, so schnell wie möglich die vermeintlichen Hauptdarsteller des menschlichen Körpers zu präparieren, nämlich Muskeln und Organe. Die Faszien interessierten uns nicht und wir schnippelten sie ohne große Beachtung weg. Heute weiß ich, dass man ihnen mit der Nebenrolle als bloßes Füll- und Stützmaterial nicht gerecht wird.
Faszien erfüllen verschiedenste Aufgaben im Körper. Zunächst ist wirklich jedes Organ und jeder Muskel von Faszien umhüllt. Alle Faszien zusammen bilden ein komplexes Spannungsnetzwerk. Und wenn wir schon von einem Netzwerk sprechen: Man geht davon aus, dass es für die Kommunikation in unserem Körper eine eigene Rolle spielt.
Faszien spielen für die Ernährung und Entgiftung der Organe, die sie umhüllen, eine wichtige Rolle und dienen als Speicher für Wasser und Fett.
Am spannendsten finde ich, dass Faszien unglaublich dicht mit Nerven versorgt sind. In den Faszien verästeln sich Nervenfasern besonders fein und an ihren äußersten Enden sitzen hochspezialisierte Messfühler, sogenannte Rezeptoren, mit verschiedensten Aufgaben. Sie messen die Temperatur und den pH-Wert, nehmen Veränderung von Bewegung und Spannung wahr und melden dem Gehirn drohenden Schaden des Gewebes über Schmerzrezeptoren.
In meiner Arbeit interessiere ich mich besonders für die Rezeptoren, die Veränderungen der Bewegung und Spannung messen. Ich taste gezielt nach Strukturen, das heißt Muskeln und ihren Faszien, die eine zu hohe oder zu niedrige Spannung haben. Das fühlt sich dann entweder verdickt oder irgendwie zu lax an. Oft hilft der Seitenvergleich links zu rechts und meine innere Vorstellung und Erfahrung davon, was „normal“ ist. Ziel der Justierung ist es, die Spannung entsprechend zu normalisieren. Meine Patienten spiegeln mir dann, dass die behandelte Struktur besser funktioniert, was in der Regel bedeutet: bessere Beweglichkeit. Da übermäßige Spannung oft auch mit unangenehmem Ziehen oder sogar Schmerzen einhergeht, ist dieses Gefühl nach der Justierung natürlich auch sehr willkommen – viele Patienten erzählen mir außerdem, dass sich ihre Schmerzen mit der Zeit mindern oder sie sogar ganz weggehen.
Manchmal kann es sein, dass eine Struktur zu beweglich ist und dadurch Probleme und Schmerzen bereitet. Das sehe ich oft am Becken. Auf der einen Seite ist die Beckenschaufel mit dem Kreuzbein blockiert und auf der anderen Seite regelrecht überbeweglich. Schmerzen, und zwar nicht zu wenig, bereitet dann meist die überbewegliche Seite.
Das faszinierende an Faszien ist, dass sie dem Körper gleichzeitig Stabilität und Beweglichkeit schenken. Wenn dem Körper oder einer seiner Strukturen allerdings Schaden droht, bekommt die Stabilität Priorität. Die Faszien ziehen sich zusammen und werden fest. Wenn die Gefahr über lange Zeit besteht, produzieren sie schließlich in guter Absicht Stützmaterial. Das tastet man dann als knotige, dicke Verhärtungen im Gewebe. Ein häufiger Befund in meiner Praxis ist der Stiernacken. Der kann zwar auch in Folge einer Langzeit-Kortisonbehandlung entstehen, viel häufiger ist er aber Resultat einer jahrelangen Fehlhaltung. Wenn der Kopf vor den Schultern steht oder hängt, bedeutet das eine immense Belastung für den Nacken und den Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule. Schlau wie der Körper ist, baut er einfach an und aus und kompensiert die Belastung auf diese Weise. Nur ist das Ergebnis ehrlicherweise nicht optimal und auf Dauer nicht schön und es entstehen neue Probleme. Und wir pflegen unsere Baustellen. Und am Ende sind wir möglicherweise eher die Summe unserer Kompensationen als unserer Entwicklungen, wie ein Kollege von mir kürzlich treffend sagte.
Die gute Botschaft: Es gibt viele Möglichkeiten, neue Wege einzuschlagen und wieder in eine Aufwärtsspirale hin zu mehr Wohlbefinden zu gelangen.
Mein Favorit für den Kick-Start ist natürlich Chiropraktik. Regelmäßige, gezielte Impulse in das Nervensystem bereiten den Weg für Veränderungen in den Faszien, Muskeln und Gelenken. Wenn der erste Schritt getan ist, fallen kleine Lebensstil-Änderungen im Alltag aus meiner Erfahrung leichter und schon ist man mitten auf dem gewünschten Weg.
Meine Antwort auf die zweite Frage, ob Faszientraining schmerzhaft sein muss, ist einfach: Nein. Da Faszien so dicht innoviert sind, reagieren sie natürlich schnell auf Druck und die Schmerzschwelle ist beim Training mit Bällen und Rollen bald erreicht. Ich empfehle, bei der Eigenanwendung nur bis an diese Schwelle zu gehen. Ich habe es schon erlebt, dass Menschen sich beim Faszientraining ernsthaft verletzt haben. Professionelle Trainer und Krankengymnasten können natürlich gezielt tiefer in das Gewebe gehen, um Verhärtungen zu lösen. Dafür braucht es aber Erfahrung und Fingerspitzengefühl.
Wenn Sie Ihren Faszien gleich etwas Gutes tun möchten, kommen hier meine drei tik Hacks!
Was Faszien lieben
1. Wertschätzung
… und liebevolle Aufmerksamkeit! Faszien wollen nicht immer gequält werden. Das haben sie auch gar nicht verdient. Sie mögen es tatsächlich, regelmäßig auf Rollen oder Bällen eben „ausgerollt“ zu werden; mit Dehnübungen lockt man sie aus ihrer Komfortzone. Wichtig: Nicht zu lange und nicht über die Schmerzgrenze gehen! Die gute Nachricht und tik Hack No.1: Sanftes und bestimmtes Ausstreichen mit den Händen kann mit der Zeit zu einer Verbesserung ihrer Struktur und Funktionalität führen. Wichtig beim Ausstreichen: Wo möchte ich mehr Länge haben? Ansonsten ruhig dem Gefühl vertrauen und freundlich forschend vorgehen. Und bei hartnäckigen Blockaden in einer Faszie, fragen Sie Ihre Chiropraktikerin. Sie hat bestimmt noch eine Idee!
2. Eine gute Haltung
tik Hack No.2: Wer gesunde, schöne und funktionsfähige Faszien haben will, gibt ihnen Richtung. Faszien richten sich nämlich entlang der Kraftlinien der Belastung aus. Wichtig ist daher eine gute Körperhaltung (Hallo Justierung!).
3. Die richtigen Nährstoffe
Der ultimative Tip für alle Bewegungsmuffel und Naschkatzen! Man kann den Faszien auch mit Snacken mal was richtig Gutes tun. tik Hack No.3 : Vorm Schlafengehen ein Stück proteinreiche Nahrung plus einen nicht zu kleinen Zitronenschnitz essen. (Und ja, nicht nur den Saft, auch das Fruchtfleisch!) Dadurch bekommt der Körper das, was er für die Regeneration des Bindegewebes in der Nacht benötigt: Eiweißbausteine für die Kollagenketten und Vitamin C, das für ihren Aufbau benötigt wird. Ein proteinreicher Snack ist beispielsweise ein Stück Käse oder Aufschnitt. Eine pflanzliche Alternative wäre Tempeh. Statt Zitrone bevorzuge ich persönlich Limette. Sie ist milder und weniger sauer.